Kurt Beck Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschland im Dezember 2007
Liebe Genossinnen und Genossen,
die Weihnachtszeit beschert nun hoffentlich auch allen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die in den Gemeinden, den Ländern, im Bund und auch auf der europäischen Ebene politische Arbeit leisten, eine besinnliche Pause. Das wünsche ich dir, zumal die Feiertagsruhe vor allem für unsere Freundinnen und Freunde in Hessen, Niedersachsen und Hamburg kurz sein wird.
In Hessen und Niedersachsen werden im Januar neue Landtage gewählt; in Hamburg Ende Februar eine neue Bürgerschaft.
Unsere Chancen sind gut. Dafür haben wir im zu Ende gehenden Jahr 2007 hart gearbeitet. Seit dem Hamburger Parteitag ziehen wir wieder eine gerade Furche und setzen politische Maßstäbe, an denen sich unsere politischen Konkurrenten orientieren und abarbeiten müssen.
2008 ist das zehnte Jahr, in dem die SPD im Bund Regierungsverantwortung trägt. Das hat sich gelohnt für ganz Deutschland. Die Bedingungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung wurden geschaffen, durch den endlich neue Arbeitsplätze entstehen. Die Arbeitslosigkeit im November ist die niedrigste seit 15 Jahren; über 40 Millionen Erwerbstätige - das ist die höchste Anzahl seit Bestehen der Bundesrepublik. Die sozialen Sicherungssysteme sind gefestigt worden – und das bei sinkenden Beiträgen!
Ich erinnere an die durchgesetzten Mindestlöhne, die Arbeitsmarktprogramme für Langzeitarbeitslose und jüngere Menschen, die Ausbildung und Arbeit suchen. Die Diskriminierung Älterer am Arbeitsmarkt geht zu Ende. Damit Ältere diese Chance nutzen können, verlängern wir für sie gerade die Fristen für den Bezug von Arbeitslosengeld und schieben den Zeitpunkt hinaus, an dem der Vorrang des Rentenbezugs wirksam wird.
Elterngeld und der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz sind sozialdemokratische Ideen, die wir in der Regierungskoalition durchgesetzt haben.
Zum Wintersemester 2008/2009 steigt das BaföG; in SPD-regierten Ländern gibt es keine Studiengebühren. Dort, wo wir wieder Verantwortung übernehmen können, werden wir Studiengebühren wieder abschaffen. Kindergartenbeiträge werden schrittweise erlassen.
Es ist unerträglich, dass trotz formaler Durchlässigkeit unseres Bildungswesens der Bildungserfolg unserer Schülerinnen und Schüler immer noch mehr als anderswo von der sozialen Herkunft abhängt. Ganztagsschulen, frühe Förderung, BaföG, Gebühren- und Beitragsfreiheit dienen dem Abbau der Bildungsbarrieren und der Chancengleichheit im Bildungswesen. Bildung bleibt in unserem Verständnis ein Selbstzweck für jeden Menschen, aber die Förderung möglichst aller Begabungen und aller Talente dient auch unserem Land. Wir können im globalen Wettbewerb niemals durch niedrige Löhne sondern nur durch Spitzenleistungen und Zuverlässigkeit bestehen. Wer Wohlstand für alle will, muss Bildungschancen für alle erhöhen.
Deutschland ist vorbildlich beim Klimaschutz und hat eine weltweite Spitzenposition bei Umwelttechnologien. Beides können wir unserer erfolgreichen Arbeit zu Gute halten!
Zu dieser durchweg positiven Bilanz unserer Regierungsarbeit in der Koalition gehören auch die vereinbarte Erbschaftssteuerreform; die Reichensteuer, der mit der Unternehmenssteuerreform erzielte Effekt, dass entnommene Gewinne weitaus höher besteuert werden als reinvestierte und die Verlagerung von Betrieben und Gewinnen ins Ausland keine Steuern mehr spart. Dieser Bilanz stehen eine Reihe von Projekten und Herausforderungen gegenüber, denen wir uns im neuen Jahr widmen müssen:
Als erste Aufgabe nenne ich den Schutz von Kindern, die in ihren Familien zu verwahrlosen drohen oder gar, wie mehrfach in den letzten Monaten geschehen, sogar zu Tode kommen. In den letzten Tagen vor Weihnachten ist es gelungen, auf der Grundlage sozialdemokratischer Vorschläge einen Aktionsplan zu vereinbaren, der diesen Gefahren begegnen kann. Dazu werden wir Vorsorgeuntersuchungen verbindlich machen. Familien, die die Vorsorge nicht nutzen, können dann von Gesundheits- oder Jugendämtern aufgesucht werden. Unsere Forderung, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, ist keineswegs eine theoretische oder bloß symbolische Maßnahme. Vielmehr würde damit der Schutz der Kinder in der Abwägung mit anderen Grundrechten einen höheren Stellenwert erhalten. Dass wir aber in allen übrigen Punkten mit dem Koalitionspartner und den Ländern Konsens erzielt haben, ist unser Erfolg!
Die Durchsetzung von Branchenmindestlöhnen bleibt weiter auf der Tagesordnung: wir dürfen es nicht zulassen, dass Konkurrenzverhältnisse oder Geschäftsmodelle dazu führen, dass immer häufiger Löhne gezahlt werden, von denen man ohne zusätzliche Unterstützung nicht leben kann. Unbedingte Priorität bei der Festsetzung von Mindestlöhnen müssen aber die Tarifparteien behalten. Dort, wo die Tarifparteien zu solchen Vereinbarungen nicht in der Lage sind (beispielsweise gehören viele Betriebe in Ostdeutschland keinem Arbeitgeberverband an), soll eine Expertenkommission aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Wissenschaftlern den Mindestlohn bestimmen. Auf dieser Grundlage sind wir jederzeit zu Gesprächen mit dem Koalitionspartner über einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn bereit.
Sorge bereitet mir, dass eine große Mehrheit in Deutschland der Auffassung ist, der wirtschaftliche Aufschwung komme bei ihr nicht an. Die Zustimmung zur sozialen Marktwirtschaft sinkt, so lange sie nicht mehr als sozial gerecht empfunden wird. Mit unserer Arbeitsmarktpolitik und den Mindestlöhnen wirken wir dem entgegen. In den nächsten Wochen werden wir Maßnahmen gegen die gewachsene Armut von Kindern vorschlagen, die wirklich bei den Kindern ankommen sollen. Eine kräftigere Lohnentwicklung durch neue Tarifabschlüsse im nächsten Jahr wird sich auch für die Rentnerinnen und Rentner bemerkbar machen, die zur Zeit nur wenig vom Aufschwung profitieren.
Die Debatte über gewaltige Managergehälter und Abfindungen, selbst wenn eine Ablösung wegen Misserfolgs erfolgt, darf nicht folgenlos bleiben. Den Energieversorgern glaubt man nicht, dass die steigenden Preise allein durch die hohe Weltmarktnachfrage erklärbar seien.
Zugegeben: Bei diesen beiden Beispielen sind die Möglichkeiten der Politik gering, aber wir sollten auch diese geringen Möglichkeiten nutzen und nicht nur Sonntags- oder Parteitagsreden halten.
Ein Projekt, das die Auseinanderentwicklung von Einkommen aus Arbeit und solchen aus Vermögen verringern soll, ist unser Deutschlandfonds. Er sichert Arbeitnehmerbeteiligungen am Betriebsvermögen über die Zeit der Betriebszugehörigkeit hinaus und auch bei Firmeninsolvenz. So verbessern wir die Vermögensbeteiligung, ohne andere, bestehende Beteiligungsformen in Frage zu stellen.
Weder uns Sozialdemokraten noch der großen Koalition in Berlin mangelt es an Aufgaben. Sozialdemokratische Regierungsverantwortung tut dem Land gut. Nur die SPD hat eine klare Zielvorstellung: wir wollen wirtschaftlichen Erfolg, soziale Gerechtigkeit und ökologische Vernunft gleichermaßen verwirklichen. Wir sind uns einig mit der solidarischen Mehrheit in unserem Land, die will, dass sich Leistung lohnt, dass es gerecht zugeht und der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Das Vertrauen in die Sozialdemokratie wächst, dass wir diese Ziele erreichen und die Idee eines sozialen Deutschland verwirklichen können.
Die Menschen nehmen auch immer mehr wahr, dass für die wichtigsten Aufgaben und ihre Lösung in der Regierung Sozialdemokraten verantwortlich sind: für die Haushaltskonsolidierung Peer Steinbrück, für die erfolgreiche Außenpolitik der guten Nachbarschaft, für Frieden, Abrüstung und die europapolitischen Erfolge des vergangenen Jahres Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier, für die Umweltpolitik Sigmar Gabriel. Dafür, dass in der Innen- und Rechtspolitik bei allen Sicherheitserfordernissen die Freiheit nicht auf der Strecke bleibt, kämpft Brigitte Zypries. Ulla Schmidt hat mit der Forderung nach bezahlten Tagen, wenn in der Familie ein Pflegefall eintritt, noch einmal deutlich gemacht, wer soziale Verantwortung zu würdigen weiß und wer nur darüber redet. Die internationale Anerkennung für unsere dienstälteste Ministerin, Heidemarie Wieczorek-Zeul, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden und Olaf Scholz setzt auf überzeugende Weise die Arbeit von Franz Müntefering fort.
Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die im vergangenen Jahr Bürgermeisterwahlen gewonnen haben, kann ich hier gar nicht alle aufzählen. Dass in den Ländern mit Andrea Ypsilanti, Hannelore Kraft, Wolfgang Jüttner und Michael Naumann teils neue, teils gut bekannte Führungskräfte zu Verfügung stehen, ist sehr erfreulich, auch in Thüringen, Bayern und Schleswig-Holstein rüsten sich Landes- oder Fraktionsvorsitzende für bevorstehende Landtagswahlen.
Diesen Brief will ich gerne nutzen, den früheren Stellvertretenden Vorsitzenden noch einmal zu danken. Zum einen, weil sie für die neue, straffere Struktur mit Andrea Nahles, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier als Vizevorsitzenden persönliche Ambitionen zurückgestellt haben, zum anderen, weil sie alle als Präsidiumsmitglieder weiter für Erfolg und Geschlossenheit unserer Partei wirken.
Peter Struck und die Bundestagsfraktion kann man gar nicht oft genug loben für die verantwortungsvolle Arbeit, die sie als Regierungsfraktion leisten.
Mein ganz besonderer Gruß und die Hoffnung auf gesegnete Feiertage und Gesundheit und Zuversicht im neuen Jahr gilt aber Franz Müntefering und seiner Frau Ankepetra.
Mein herzlicher Dank gilt den vielen ehrenamtlichen Parteimitgliedern, die eine bis zur Mitte des Jahres nicht einfache Zeit durchzustehen hatten. Das gilt auch für unsere hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für die Mandatsträger in den Landtagen, Kommunen und Kreisen. Sie beweisen in täglicher Arbeit, dass alles Politische letztendlich immer konkret ist. Politik muss mit den Menschen, für die Menschen und nah bei den Menschen gestaltet werden, wenn sie erfolgreich sein soll.
Wir haben also allen Grund, selbstbewusst die nächsten Aufgaben anzugehen und unseren Anspruch als prägende Regierungspartei zu bekräftigen.
Frohe Weihnachten und ein gutes 2008 wünscht Euer
Kurt Beck